80 Jahre Novemberpogrome – Lehren für die heutige Zeit
Als Einstieg in das große Erinnerungsprojekt „80 Jahre Reichspogromnacht – Darmstädter Schüler&innen und Studierende erinnern und gedenken“ hielt der renommierte Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz am 18.10.2018 vor etwa 100 interessierten Schülern, Studierenden, Lehrern, Eltern und Darmstädter Bürgern einen interessanten Vortrag über die Novemberpogrome von 1938. Finanziert wurde der Vortrag von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung.
In seinem Vortrag zeichnete Prof. Dr. Benz anhand von konkreten Beispielen nach, was die Novemberpogrome von 1938 bedeuteten. Eine seiner Kernaussagen ist, dass die „Reichskristallnacht“ ein Einschnitt in die Geschichte des Nationalsozialismus war, der den Massenmord an den deutschen und europäischen Juden beschleunigte. Zwar war 1938 Auschwitz aus Sicht von Benz für die deutsche Bevölkerung kaum vorstellbar, aber durch den systematischen Akt von Gewalt gegenüber den Juden sei ein ganz wichtiger Etappenschritt in diese Richtung gegangen worden.
In der Reichspogromnacht wurden nach offiziellen Angaben ungefähr 100 Menschen ermordet, u.a. ein zehnmonatiges Baby, dessen Eltern inhaftiert wurden und es auf Zwang der Nazis unversorgt zurücklassen mussten! Etwa 30.000 Juden wurden in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Dachau und - u.a. die meisten Darmstädter Juden - Buchenwald verschleppt. Auch wurden etwa 1400 Synagogen zerstört, den Schaden mussten die deutschen Juden zahlen! Benz betonte mehrfach und an verschiedenen Beispielen, dass es für die deutsche Mehrheitsbevölkerung damals möglich gewesen wäre, zivilen Ungehorsam zu zeigen. Wer sich den Anweisungen des NS-Regimes widersetzte, spürte zwar den Atem des totalitären Regimes, konnte aber – wie die von Benz erwähnten Fälle zeigen – weitgehend unbescholten weiterleben!
Neben der Darstellung der historischen Tatsachen ging Benz auch auf mögliche Lehren und Folgen der Pogrome ein. Er selbst hat sich in seinen Forschungen schwerpunktmäßig mit antisemitischen Vorurteilen beschäftigt, darauf aufbauend generell mit Vorurteilen. So übertrug er seine Forschungsergebnisse u.a. auch auf die heutige Zeit, in der Vorurteile auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen würden. Zwar sei es heute aufgrund des Holocaust ein Tabu, antisemitische Einstellungen oder Verhaltensweisen offen zu zeigen. Dafür aber gebe es einen offenen Antiislamismus, der ähnliche Muster wie der damalige Antisemitismus habe. Benz zeigte in seinem Vortrag auch, dass mit 1938 die Pogrome in Deutschland nicht aufhörten, wie nach Prof. Benz z.B. die pogromartigen Ausschreitungen und Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen 1992 und 2018 in Chemnitz zeigten.
Nach dem Vortrag gab es noch ein etwa einstündiges Nachgespräch, bei dem Interessierte Fragen stellen konnten, auf die Prof. Dr. Benz profunde Antworten gab. Unter anderem stellte Merle aus der G10a der STS die Frage, ob eine Welt ohne Vorurteile wie Antisemitismus möglich sei. Aus Benz Sicht sei dies ein ganz großer Wunsch, zu dessen Verwirklichung die Auseinandersetzung mit Vorurteilen einen Beitrag leisten könnten. Nach wie vor sei es daher grundlegend, sich mit der NS-Vergangenheit zu beschäftigen, die für die deutsche Gesellschaft und das Staatsverständnis essentiell sei.
Der Vortrag ist als Auftakt in das Erinnerungsprojekt gedacht, an dem die Klassen G9a, G10a, G10b, der WPU Geschichte 10 und der WPU Darstellendes Spiel 10 teilnehmen. Die Ergebnisse der Projekte werden am 16.11.2018, 9-12 Uhr in einer Gedenkfeier im alten Maschinenhaus der TU Darmstadt präsentiert.